Kontraste können nie groß genug sein
Andreas Hachulla – Architekt und digitaler Impressionist
Andreas Hachulla arbeitet im Berliner Werkstadt Fischer Architekten-Büro. Im Interview erklärt er die Wechselwirkung zwischen Kunst und Architektur – und warum man die Berliner Clubszene kennen muss, um ein Großprojekt wie den Umbau der Axel-Springer-Passage zum Erfolg zu führen.
Lieber Leipzig oder Berlin?
Ich bin in Leipzig geboren. In den 0er Jahren hat Berlin viele Leipziger angezogen, und auch mich hat die Stadt mit ihrer Kultur- und Clubszene beeindruckt. Heute lebe ich sehr gern in Berlin. Ich mag das urbane Leben hier, diesen Mix aus Ruhe und Getöse.
Wie wohnst Du heute in Berlin?
Ich wohne ganz unspektakulär in einer 40 Quadratmeter-Altbau-1-Zimmer-Wohnung mit Balkon. Da das Leben in Berlin davon geprägt ist, viel unterwegs zu sein, ist das aber genau das Richtige für mich – denn jeder weitere Quadratmeter müsste ja auch bewirtschaftet werden.
Dein Vater ist der Leipziger Maler und Grafiker Ulrich Hachulla. Hätte er sich vielleicht gewünscht, dass Du Kunst statt Architektur studierst?
Ich bin meinem Vater dankbar, dass er mir eher vom Kunststudium abgeraten hat. Ich habe mich daraufhin für das Architektur-Studium in Darmstadt entschieden.
Warum Architektur?
Weil Architektur interdisziplinär ist: Eine weitgreifende Mischung aus kulturellen, wissenschaftlichen und historischen Elementen – verbunden durch die kreative Kraft der Imagination.
In Berlin gibt es hunderte bis tausende von Architektur-Büros. Wieso bist Du 2013 bei Fischer Architekten eingestiegen?
Zu Werkstadt Fischer Architekten Fischer bin ich über eine Studienkollegin gekommen, mit der ich in Darmstadt studiert hatte. Sie hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass am neuen Fischer-Standort in Berlin eine Stelle frei ist. Ich habe mir das Büroprofil angeschaut – und das hat mich gereizt.
Mir gefällt, dass bei Werkstadt Fischer Architekten schon seit vielen Jahren integral, interdisziplinär und nachhaltig geforscht und gearbeitet wird.
Andreas Hachulla
Was genau hat Dich gereizt?
Mir gefällt, dass bei Werkstadt Fischer Architekten schon seit vielen Jahren integral, interdisziplinär und nachhaltig ge forscht und gearbeitet wird – mit Technologien wie der Textilbeton-Sandwich-Bauweise, Recycling-Beton oder IBS-Board-Wandsystemen aus hochverdichtetem Getreidestroh. Ich erlebe Fischer als ein interessantes, aber noch nicht zu Ende gedachtes Kompositum, zu dessen aktiver Entwicklung die Mitarbeiter eingeladen sind. Diesen Prozess mitzugestalten, finde ich reizvoll, und das trieb mich auch bei der täglichen Arbeit an unserem Großprojekt X8.Berlin um – und an.
Was war die Herausforderung bei der Transformation der Berliner Axel Springer-Passage?
Die ehemalige „Axel-Springer-Passage“ wurde von 2000 bis 2004 vom Londoner Architektenbüro RHWL Architects errichtet. OfficeFirst Real Estate hat uns mit einer umfassenden Transformation und Nutzungsänderung beauftragt. Das ganze Gebäude konzentriert in sich das Maximum der Komplexität, das die Architekturzunft zu bieten hat – mit allen vorstellbaren Besonderheiten und Ausnahmen.
Welche Besonderheiten sind das?
Es ist ein Sonderbau. Es ist ein Hochhaus. Es ist eine Versammlungsstätte. Es ist mit seinen Läden aber auch Verkaufsstätte und ein Bürohaus – also ein komplexes Nutzungsspektrum mit allen damit verbundenen spezifischen Auflagen. Wir arbeiteten mit 10 bis 15 Personen an dem Projekt und insgesamt waren zeitweise ungefähr 100 Personen planungs- bzw. projektbeteiligt. Das Ganze ist eine Operation am offenen Herzen im laufenden Betrieb mit einer sehr engen Timeline. Da ist natürlich klar, dass so eine Transformation eine Herausforderung darstellt. Das Konglomerat von architektonischen Ausnahmen macht X8.Berlin zum komplexesten Projekt in der 57jährigen Geschichte des Büros Werkstadt Fischer Architekten. Und tatsächlich gibt es in Berlin in dieser Lage, in dieser Größe und in dieser Qualität auch kein vergleichbares Projekt. Immer mehr Unternehmen suchen diese offene, in Teilen auch rauere Arbeitsatmosphäre.
Lässt sich ein urbanes Berliner Bauprojekt wie X8 ohne Berliner Szenekompetenz überhaupt realisieren?
Die entscheidende Kompetenz für X8 ist das allumfassende Verständnis für alle Bereiche: Du musst bereit sein, dich in sämtliche Aspekte einzuarbeiten und sie zu verstehen: architektonisch, technisch, statisch, physikalisch, klimatisch, akustisch … Ebenso ist es auch relevant, dass die X8-Atmosphäre ästhetisch dem Berliner Szenegeist Rechnung trägt. Heute ist dieser Transfer aber kein Alleinstellungsmerkmal, sondern ein Standard, der von Bauherren eher selbstverständlich eingefordert wird – der Umbau des Bikini Berlin ist da ein Beispiel. Begonnen hat diese Entwicklung schon in den 0er und 10er Jahren, als technische Installationen plötzlich in die Architektur miteinbezogen wurden – als Verweis auf die urbane Historie.
Du bist auch künstlerisch aktiv. Sehr bekannt geworden sind deine digitalen Zeichnungen aus dem Berliner Clubleben, die Du mit deinem Smartphone erstellst. Ein neuer Digitaler Impressionismus?
Kann man so nennen, weil diese Zeichnungen, die ich mit einer App erstelle, spontan entstehen und flüchtige Eindrücke festhalten. In Clubs wie dem Berghain darf nicht fotografiert werden und so ist das Zeichnen oder Malen eine Möglichkeit das Vergängliche festzuhalten. Es ist spontan, es ist lichtdurchflutet und es ist ausschnitthaft, denn schon das kleine Format setzt Grenzen. Der flüchtige Duktus ist der Schnelligkeit des Erlebens geschuldet. Insofern kann man von digitalem Impressionismus sprechen, schnell, spontan und von Lichtstimmungen geprägt.
Gibt es da also Wechselwirkungen zwischen Kunst und Architektur?
Um beim Beispiel X8 zu bleiben: Da sind diese Wechselwirkungen nicht direkt sichtbar – aber sie sind dennoch vorhanden. Die Technik, mit denen ich meine digitalen Zeichnungen mache, setzte in der Projektarbeit auch für spontane Skizzen ein. Da geht es dann nicht um Impressionen, sondern um klare Informationen, damit bauliche Themen digital abgestimmt und entschieden werden können.
Was ist deine persönliche Architektur-Philosophie?
Es gibt eine Menge architektonische Entwicklungen, die ich interessant finde, aber hinsichtlich meiner eigenen Architektur-Philosophie bin ich noch mitten in der Entwicklungsphase. Dieses Fragen nach dem grundsätzlichen Ansatz treibt mich aber tatsächlich um: Bei Fischer erleben wir ja auch gerade live, dass es wichtig und lohnend ist, sich immer wieder neu zu definieren.
Gibt es Architekten, deren Arbeit Dich inspiriert?
In der Berliner Architekturszene finde ich Arno Brandlhuber oder LXSY Architekten sehr interessant, international zum Beispiel die Arbeiten von Rintala Eggertsson oder Sou Fujimoto, obwohl man hört, dass bei letzterem die Arbeitsbedingungen eher als herausfordernd zu bezeichnen wären.
Die Arbeit an Großprojekten wie der Springer-Passage ist intensiv. Wie entspannst Du dich?
Künstlerische Arbeit ist ein ganz wesentlicher Ausgleich! Ich mag, was ich tue, daher kommt die Energie. Die besten Ideen kommen oft in Bars, bei Konzerten oder bei Club-Besuchen. Kunst ist zwar auch mit Arbeit verbunden, aber die kreativen Prozesse machen einfach Spaß. Im letzten Jahr wurde beispielsweise eine Ausstellung mit digitalen Zeichnungen eröffnet, die ich mit Studentinnen im Rahmen eines Lehrauftrags am Kunstinstitut der Uni Greifswald erarbeitet habe. Durch die damalige Krisensituation wurde dieser ausschließlich online abgehalten und stellte einen unmittelbaren Ausgleich zur parallelen Projektarbeit dar. Darüber hinaus spiele ich auch noch Bass in meiner Band Denied Reality – ein Deathmetal/Hardcore-Projekt, gegründet 1994 in Leipzig. Denn eins ist ja klar: Der Kontrast kann nie groß genug sein!
Hier mehr Infos zum Werkstadt Fischer Architekten-Büro Berlin.
Header-Foto: Angelika Stehle