Revisited: Eastsite VIII

10 Jahre später wieder besucht: Das weltweit erste Textil-Sandwichbeton-Gebäude

Tags: Betonbau, Beton-Technologie, Textil-Sandwich Transformation, Suffizienz, Prefab

Mit Eastsite VIII haben Werkstadt Fischer Architekten im Jahr 2016 das erste Textilsandwichgebäude der Welt realisiert. In Bezug auf nachhaltige Konstruktion und Gebäudetechnik bildete das Projekt den damaligen „State of the Art“. Die Planungen  liegen rund 10 Jahre zurück. Zeit für einen Wiederbesuch und ein Interview mit Projektleiter Dominik Wirtgen, um die damaligen Techniken vor dem Hintergrund einer verschärften Diskussion um nachhaltiges Bauen mit Beton neu zu bewerten.

Wie entstand das Eastsite VIII-Konzept - und was war der Grundgedanke?

Das Konzept basierte auf drei Grundgedanken: Erstens einen optimierten Ressourceneinsatz bei der Entstehung zu ermöglichen, zweitens einen geringen Energieverbrauch im Betrieb zu erzielen und drittens einen langen Lebenszyklus zu gewährleisten. Der Rückbau und die Wiederverwendung sowie baubiologische Aspekte wurden damals nachrangig behandelt – Aspekte, die im vergangenen Jahrzehnt deutlich an Bedeutung gewonnen haben und die heute sicher anders behandelt werden sollten.

Welche Rolle spielte das Thema Suffizienz im Entwurf?

Eine sehr große Rolle, denn das größte Einsparpotenzial lag unmittelbar im Entwurfsansatz. Der Verzicht auf eine Unterkellerung führte zu einer direkten Konstruktionsersparnis von über 30 Prozent. Keine andere Maßnahmen besaß auch nur annähernd dieses Einsparpotenzial. Erreicht wurde der weitgehende Verzicht auf unterirdische Gebäudeteile durch den Nachweis von Stellplätzen in einer zentralen Quartiersgarage.

Warum ist der Verzicht auf eine Tiefgarage aus heutiger Perspektive zeitgemäß?

Die Vorteile von Tiefgaragen, wie die unmittelbare Andienung und die „Unsichtbarkeit“, sollten zukünftig stärker hinterfragt werden: Ist es wirklich notwendig, große Anteile des eingesetzten Betons in unterirdischen Bauwerken zu binden, deren Nutzungskonzept in den nächsten 25 Jahren wahrscheinlich nicht mehr im heutigen Umfang gegeben sein werden, weil neue Formen der urbanen Mobilität entstehen.Hinzu kommt, dass diese Bauwerke später nahezu keine sinnvolle Nach- oder Umnutzung ermöglichen.  

Wie entsteht eine Lebenszykluserweiterung durch Transformation?

Jeder Neubau erfordert einen erheblichen Verbrauch von Grauenergie und Ressourcen. Der Rückbau und ein mögliches Recycling verbrauchen erneut unverhältnismäßig viel Energie und produzieren zusätzlich Massen an Müll. Unter diesen Gesichtspunkten sollten eigentlich gar keine neuen Gebäude errichtet werden. Bauwerke sind aber nur so lange relevant, wie Sie gesellschaftlich akzeptiert werden. Hierzu ist die „Nutzbarkeit“ essentiell. Nur in wenigen Ausnahmefällen können Gebäude ausschließlich aufgrund Ihrer hochwertigen Raum- und Formgebung dauerhaft „überleben“. Um aber eine Nachnutzung zu gewährleisten, müssen Häuser auf sich verändernde Bedingungen reagieren können. Arbeits- und Lebenswelten sind in zunehmenden Maße diesen Änderungen unterworfen. Wenn ein Gebäude nicht transformierbar ist, verliert es die Akzeptanz und wird ersetzt werden – ein Faktor ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit. Transformation bedeutet, dass Tragwerk, technische Infrastruktur und Fassaden auf neuartige Anforderungen reagieren können; Anforderungen die zum Zeitpunkt der Entstehung gar nicht absehbar sein können. Die Vorrüstung auf Zukunftsbedingungen, die nicht vorhersehbar sind, ist dabei meist kein guter Ansatz. Historische Beispiele beweisen hingegen, dass Neutralität, Robustheit und Anpassungsfähigkeit spätere Veränderungen am besten ermöglichen. Dauerhafte, unterzugsfreie, weitspannende Betontragwerke waren beim Gebäude Eastsite VIII nur eine Komponente, um Transformationsfähigkeit zu generieren und die Adaption an neue Bedürfnisse zu ermöglichen.

 

Umfasste der integrale Ansatz des Werkstadt-Prinzips auch intelligente Gebäudetechnik zur Verbesserung der Energiebilanz?

Die Eastsite-Gebäude verfügen in der Regel über eine Wärme/Kälteerzeugung durch geothermieunterstützte Wärmepumpen. Der notwendige Strom für die Wasserbereitung wird zum großen Teil mittels einer PV-Anlage erzeugt. Warm- und Kaltwasser werden zur Bauteiltemperierung in die Massivdecken eingespeist. Die Masse der Tragschalen der Außenwände ist dabei passiv wirksam und ermöglicht ein energiereduziertes nächtliches „Laden“ des Gebäudes. Der Einfluss massereicher Konstruktionen wird in der Nachhaltigkeitsbetrachtung immer noch nachrangig behandelt. In der aktuellen Diskussion liegt der Schwerpunkt auf zirkulären Eigenschaften von Konstruktionen. Es stellt sich aber die Frage, ob eine Lebenszykluserweiterung nicht viel bedeutsamer ist. Eastsite VIII war als KfW 55 Effizienzhaus konzipiert. Die ursprünglich berechneten Verbrauchswerte wurden in vergangenen sechs Jahren real deutlich unterschritten und die Energie konnte zum Teil durch eine PV-Anlage wiedergewonnen werden. Dennoch wird das Haus in den ersten 50 Jahren ohne Verbesserung der technischen Effizienz ein Vielfaches an Energie verbrauchen, das zur Herstellung des Betontragwerks aufgewendet wurde. Der Hebel über die Erweiterung des Lebenszyklus ist also um ein Vielfaches höher als die möglichen Primärenergieeinsparungen.

Welche Bedeutung haben heute Recycling-Beton und CO2-reduzierte Zemente beim Bauen mit Beton?

Beton ist laut Bundesumweltamt der Baustoff mit der höchsten Recyclingbedeutung im Bauwesen. Dabei wird der meiste RC-Schotter aber nur in einfachster Konstruktion wiederverwendet. Sinnvoller ist der Einsatz als RC-Beton im Ortbetontragwerk. Beim Gebäude Eastsite VIII war das nur mit “Zustimmung im Einzelfall“ und nur für geringe Druckfestigkeitsklassen einsetzbar. Heute gibt es allgemeine Zulassungen und Regelwerke die sogar etwas höhere Festigkeiten ermöglichen. Jüngst werden RC-Betone teilweise auch im Verbund min CO²-reduzierten Zementen von namhaften Werken direkt angeboten. CO²-reduzierte Zemente sind die wichtigste Neuerung der letzten Jahre für das Konstruieren mit Beton. Zum Zeitpunkt der Planung von Eastsite VIII waren mit dem damals verfügbaren CEM III noch längere Aushärtungszeiten und weitere Nachteile verbunden – für Sandwichtragschalen war der Einsatz noch gar nicht möglich. Heute sind CO² Reduktionen von 30 Prozent oder sogar mehr möglich ohne größere Funktions- oder Verarbeitungseinschränkungen.-

Welche Zukunftsperspektiven bietet die Textilsandwich-Technologie?

Durch den Einsatz von CO²-reduzierten Zementen könnte auch im Sandwichbau erheblich CO² eingespart werden. Darüber hinaus würden intelligentere Konstruktionen weitere Reduktionen ermöglichen. Löst man zum Beispiel die Tragschalen statisch in wandintegrierte Stützen und Rahmen auf, erhält man in den übrigen Wandbereichen lastarme Zonen, die ausschließlich die Anbindung der Vorsatzschale leisten müssen. Hier können nun Hohlkörper eingesetzt werden oder die Restwand wird deutlich verschlankt. Sogar hybride Lösungen mit NawaRo-Ersatzkonstruktionen wären so im Betonsandwichbau machbar. Weiteres Einsparpotential bieten unkonventionelle Bewehrungen. Verzinkte Stahlmatten, Edelstahlbewehrungen oder Textilgitter ermöglichen Reduktionen der Betondeckung. Die Stärke der Vorsatzschale von lediglich 30mm wurde bei Eastsite VIII durch AR-Glas Schubgitter ermöglicht. Zum damaligen Zeitpunkt benötigten Anbindungen mit stabförmigen Textilbewehrungen noch größere Einbindetiefen. Mit modernen Glasfaser Pins lassen sich heute aber vergleichbar schlanke Konstruktionen realisieren.

Ist „schlanke“ Konstruktion ein wichtiger Baustein des Werkstadt-Prinzips?

Es ist die Aufgabe von uns Architekten und Ingenieuren, intelligente Tragwerke zu entwickeln. „Schlanke“ Konstruktionen bedeuten Ressourceneinsparung und sind in zunehmenden Maße auch von ökonomischer Bedeutung. Bei EASTSITE VIII wurden für die weitspannenden Decken Hohlkörper zur Stahl- und Betonersparnis eingesetzt. Fertigteile hätten noch schlankere und innovativere Konstruktionen ermöglicht. Einfache klassische vorgespannte Hohldielen sind extrem materialreduzierte Bauteile, die es verdient haben, besonders unter Nachhaltigkeitsaspekten neu bewertet zu werden. Ähnliches gilt für Kappen- und Rippendecken sowie insbesondere für Schalenkonstruktionen – Bauweisen, die es wieder neu zu entdecken und weiterzuentwickeln gilt. Die Abkehr von der Standard-Flachdecke kann dabei auch neue Raumqualitäten erzeugen und zu besserer Architektur beitragen. Bewehrungsinnovationen wie die CPC Technologie können für der Witterung ausgesetzte Anwendungen bedeutsam werden, insbesondere bei Bauteilen, die für einen C2C Einsatz vorgerüstet werden sollen.

10 Jahre nach dem Bau von EASTSITE VIII – welches Fazit ist für das Bauen mit innovativen Betonfertigteilen zu ziehen? 

Geht man davon aus, dass das Bauwesen für 50 Prozent des Müllaufkommens, 50 Prozent  des Primärenergie- und Rohstoffverbrauchs sowie 40 Prozent des CO²-Ausstoßes in Europa verantwortlich ist, sollten wir unser derzeitiges Handeln grundsätzlich verändern. Dabei ist ein verengter Blick auf die primäre CO²-Bilanz oder eine verkürzte Anwendung des GWPs sicherlich nicht zielführend. Eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung muss zu einer Neubewertung des Baustoffs Beton und dessen Möglichkeiten führen. Beton ist und bleibt auch in Zukunft bedeutsam – Betonfertigteile als Innovationsträger können dabei einen entscheidenden Beitrag zur Neubewertung leisten. Hierzu müssen die Systeme aber modernisiert und effizienter werden, hybride Bauweisen und neue Techniken als Chance betrachtet werden. Wenn diese Wandlung durchlaufen wird, müssen Betonbauteile auch den direkten faktenbasierenden Vergleich mit alternativen Baustoffen und Bauarten nicht scheuen, sondern im Gegenteil können Nachhaltigkeitsaspekte als Marketinginstrument nutzen.

Textilbeton-Sandwich – hier mehr erfahren